Völlige ermüdung, weil natürlich just in der nacht davor die U6-gleise stundenlang mit dem presslufthammer traktiert wurden und an schlaf nicht zu denken war - was soll's. Husten und schnupfen? Wuascht. Dass wir keinen plan vom radweg nach Bratislava haben, ist dann fast schon das kleinste übel. Von den regenschwangeren wolken ganz zu schweigen.
Immerhin geht's flussabwärts, der Donau entlang, und der wille, das zu meistern ist groß. Zügig geht's voran, orientiert an Google Maps auf Chris' iPhone und vor allem mittels der hilfe anderer radfahrer. Überraschend, dass alle wissen, welchen weg wir zu nehmen haben. Wieviele deppen gibt's denn noch, die Bratislava per rad erreichen wollen?
Recht bald machen sich die 10 kilo des rucksacks bemerkbar, kosten sie doch ein bissl energie. Dabei hab' ich dieses mal wirklich nur mehr das notwendigste mit. Ich versteh' nicht, wieso das gewicht, ganz gleich, was ich reinstopfe, immer in dem bereich bleibt. Mein verdacht fällt auf eine art kofferpackertierchen, die gepäck grundsätzlich noch mit tonnenschwerem nichts auffüllen, sobald man es mal unbeaufsichtigt lässt. Das ist viel mehr ein grund, selbiges nicht zu verlassen, als hysterische sicherheitskräfte, die terroristische instrumente vermuten.
Jedenfalls ist Chris derart flott unterwegs, dass man nun auch nicht bremsen mag, zumal ja irgendwo eine gewisse fitness da sein müsste, wenn ich tagaus, tagein ins office radle. Bei im schnitt 25km/h rasen wir quasi durch verlassenes land. Kurz nach Wien begegnet uns keine menschenseele mehr, ewige geraden bestens ausgebauten radwegs liegen vor uns. Nur gelegentlich stellt sich mir die frage nach dem "warum", sie wird eliminiert von dem guten gefühl, nicht alleine zu sein.
Nach knapp dreissig kilometern kehren wir in Hermi's Radlertreff (Zur Beichtmutter) bei Probstdorf ein, um uns ein bierchen zu gönnen. So viel zeit muss sein. Ausser uns sind dort noch drei resche eingeborene und die wirtin, die unser vorhaben mit mildem interesse und leicht abwertend kommentieren, schliesslich samma ja noch jung und so schwer kann so a streckerl nicht sein. Die kommunikation ist schwer, man befindet sich ja schon in einem anderen sprachraum, aber sehr herzlich, man fühlt sich aufgenommen.
Weil ich mich doch ein bissl kränklich fühle, wird das bier mit einem aspirin kombiniert und die pause kurz gehalten - man kühlt in der windigen gegend doch recht flott ab. Und allzu spät wollen wir Bratislava ja auch nicht erreichen. Eigentlich sehne ich mich nur nach einem fetten abendessen und einem bett, aber andererseits ist es ein verdammt gutes gefühl, diesen versuch zu unternehmen. Zumal Chris ebenfalls gut gelaunt ist und wir permanent plaudern die kilometer überraschend schnell fressen.
Weiter geht's nach der kurzen aufnahme lebensnotwendiger stoffe verlassen wir die zivilisation endgültig und begeben uns in die totale einsamkeit der donauauen ... Die folgende stunde wird von einem hervorragenden gefühl begleitet, untermalt durch launige gespräche und der erinnerung an weissrussland, als wir ebenfalls durch endlose einsame gegenden fuhren. Das mag in einem dichtbesiedelten land wie Österreich eher eine illusion sein, aber eine sehr eindringliche. Bis Hainburg begegnen wir zumindest niemandem, ausser ab und zu einem häschen oder einem rehlein, die unseren weg kreuzen.
Mit dem kommen der dunkelheit wird's allerdings ein bisschen ungemütlich, zumal der radweg dann aufeinmal in eine kiespiste mündet, die unheimlich kräfteraubend ist. Langsam stellt sich doch der wunsch ein, bald ans ziel zu kommen - allerdings ist das laut beschilderung noch gute 30km entfernt. Entweder ich bin am ziel kerngesund oder ich fall' tod um, diese beiden optionen drängen sich mir auf, als ich auf wackligen beinen die lichter am rad befestige - nun ist wirklich nix mehr zu sehen.
Doch zum glück gewinnt da der radweg wieder an qualität, und damit aktivieren sich auch kraftreserven (woher auch immer) und motivation wieder. Dafür wird die orientierung etwas schwieriger, auch wenn der radweg erstaunlich gut ausgeschildert ist - aber es ist halt stockdunkel und das übersehen eines hinweisschildes könnte in langen umwegen enden, die nun tunlichst zu vermeiden sind.
Bei Hainburg wird auf die andere seite der donau gewechselt, und es ist erstaunlich, wie lange so eine brücke wird, wenn man nur mit dem tempo eines radfahrers unterwegs ist. Angemessenerweise beginnt es tröpfeln, aber das wetter scheint sich nur einen spaß mit uns zu erlaubern, um uns zu verunsichern, denn recht bald herrscht wieder kühle trockenheit. 14km noch bis nach Bratislava. Ist doch eigentlich nicht mehr viel, könnte man meinen.
Dennoch werden die kilometer spürbarer, über 60km quasi nonstop mit einem affenzahn sind halt doch ein bissi viel. Wieder diese komische frage nach dem "warum", die ich mit einem trotzigen "darum" beantworte. Denn es war auch einfach eine fantasische erfahrung, so durch die nacht zu gleiten, der donau entlang, immer dem von Bratislava angestrahlten himmel entgegen.
Dass es jetzt aber bergauf geht, hätte nicht sein müssen - zum glück ist es nur ein kurzes stück. Dafür beginnen sich dann die wegweiser ein bisschen merkwürdig zu verhalten und weisen in richtungen, die sich nicht mit unserem orientierungssinn vereinbaren lassen. Google Maps sei dank ersparen wir uns so einiges an umweg und radeln ein stück der straße entlang.
Endlich liegt es dann vor uns, das heiss ersehnte Bratislava - der wunsch nach essen, trinken und schlafen wird gigantisch ... Angenehmerweise geht's nun nur mehr bergab, ganz erstaund sind wir, wie hoch oben wir uns befinden. Allerdings werden wir auf dem radweg weiterhin in seltsamen bahnen ans ziel geführt, ganz ohne umweg scheint es nicht zu gehen, will man sich nicht auf den schnellstraßen bewegen.
Und dann: Die grenze. Das erste mal, dass ich per fahrrad das land verlasse. Tolles gefühl. Und faszinierend, dass diese einst so streng bewachte grenze nun völlig frei passierbar ist. Niemand kontrolliert, noch nicht einmal ein polizist ist in sichtweite. Die absolute freiheit. Da ist die frage nach dem "warum" schon drängender, warum wir menschen es uns da sonst immer so schwer machen ...
Wieder werden wir ein bissl vom wettergott getriezt, nieseln lässt er es kurz, erspart uns aber den großen regen. Dafür ist es deutlich abgekühlt und die kräfte lassen nach - jetzt wird's wirklich zeit, ans ziel zu kommen. Und wie üblich ziehen sich natürlich die letzten kilometer besonders, auch wenn Hrad und Nový most mit dem UFO schon in sichtweite sind. Und da begegnet uns tatsächlich eine radfahrerin, die zivilisation hat uns wieder.
In einem völlig jenseitigen zustand queren wir die donau unter dem hell erleuchteten UFO - irre, wahnsinn, wir haben's geschafft. Aber allzu lange kann ich mich nicht daran erfreuen, alle gehirnzellen sind nur für die gedanken an essen, trinken, schlafen zu haben. Gute 3,5 Stunden für etwa 75km, wir wissen es leider nicht genau, weil sich mein gschissener tacho zum xten mal resettet hat (nie, nie, nie einen von "atech" kaufen!!) ...
Wenig später haben wir auch schon das Downtown Backpackers Hostel erreicht, das Chris schon kannte, man empfängt uns freundlich und hat auch noch ein Zimmerchen (à 1.000 Kronen, etwa 30 Euro) für uns. Nicht billig, es wäre auch ein bett im dorm um den halben preis verfügbar, aber diese nacht muss möglichst viel erholung bieten, das brauch' ich jetzt so so so dringend ...
Rasch das gepäck aufs zimmer, schon sind wir wieder unterwegs zu einem lokal, das uns vom hostel empfohlen wurde, der hunger ist unbändig. Und nun, da wir angekommen sind, verdrängt die erleichterung die erschöpfung recht flott ... Zumal es nun ein fast leichtfüssiges schlendern nach dem permanenten pedaletreten ist. Ein bisschen wackelig auf den beinen ist man allerdings dennoch ...
Sehr leer ist Bratislava wochentags abends, zumindest ausserhalb der altstadt, eine etwas zu kühle brise fährt durch die gassen ... Der weg ist nicht lang, aber in dem zustand ... Das Malí Františkáni zwängt sich eine ecke neben der markthalle - hätten wir nicht gewusst, wo wir suchen müssen, hätten wir es sicher übersehen oder wenigstens nicht vermutet, dass man dort so spät noch essen kann.
Natürlich sind die gemütlichsten plätze im ersten stock, oberhalb der bar, was sich grade noch machen lässt. Gut, dass wir in einer pizzeria mit bekannten speisen gelandet sind, zum experimentieren würde die kraft fehlen. Wir machen der kellnerin recht ordentlich beine, weil wir natürlich ohne irgendwelche flüssigkeiten unterwegs gewesen sind und hunderte liter rausgeschwitzt haben und nun ein glas nach dem anderen konsumieren. Plus pizza und schopska salat. Essen ist schon was schönes ...
Und weckt lebensgeister. Nach dem essen überkommt mich das gefühl, bäume ausreissen zu können, hurtig sprinte ich zum bankomaten, weil wir nicht genug slowakische kronen abgehoben hatten. Günstig war's trotzdem, zu zweit waren's grade mal 20 euro. Gratis obendrauf gab's die kellnerin mit ostblockmentalität - zwar immerhin sehr flott, aber lustlos und krampfhaft vermeidend, ein lächeln auf ihrem gesicht zuzulassen.
Ein bierchen wäre noch fein, andererseits geht morgens der flieger, und spätestens dann würde sich das rächen. Chris hat sich ein bissl überfressen, ist aber auch noch gut zu fuss.
Wir mischen uns kurz unters volk bei einem kebap-stand, um noch flüssigkeit zu besorgen - und sicherheitshalber tschick für einen sunny afternoon in Dublin. Hab zwar schon alleine wegen des hustens nicht vor, viel zu rauchen, aber es würde wegen des allgemeinen rauchverbots ohnehin schwierig werden. Und die zigaretten sind hier sicher noch billiger als dort. Man muss schon rechtzeitig drauf schauen, dass man's hat, wenn man's braucht.
Im hostel eruieren wir noch kurz, wie man zum flughafen kommt und fragen nach, ob wir die fahrräder hier lassen können - man ist wie schon zuvor ausgesprochen freundlich und hilfsbereit, fürs deponieren der fahrräder wird nicht einmal geld eingehoben.
Dann aber wirklich ab ins zimmer, katzenwäsche, rein ins bett. Tiefschlaf. Von wegen. Im geiste schreibe ich noch ne stunde an kfm und geniess das gefühl, wieder auf reisen zu sein. Es ist einfach jedesmal so unbeschreiblich geil.
Ausserdem weigert sich das badezimmerlicht, ausgestattet mit einem bewegungssensor, auszugehen. Es klackt zwar immer wieder und dann ist das licht für eine sekunde weg - aber offensichtlich wird auch das als bewegung registiert. Wie eine katze, die mit ihrem schwanz spielt. Und irgendwann bleibt es dann tatsächlich aus ...
Stephan